Neulich bin ich über ein altes Interview gestolpert. Ein Politiker, den man eigentlich schon vor Jahren hätte in den Ruhestand schicken können. Er sass da – ernst, kontrolliert, fast würdevoll. Und trotzdem hatte ich das Gefühl: Er sprach nicht, weil er etwas sagen wollte. Sondern weil das Schweigen schlimmer gewesen wäre. Es ging ihm nicht um die Fragen. Es ging darum, überhaupt noch gefragt zu werden.
Manche gehen nicht. Sie bleiben. Nicht, weil sie noch etwas bewegen wollen – sondern weil sie nicht wissen, wer sie ohne Mikrofon sind. Nach Jahrzehnten an Konferenztischen, zwischen Namensschildern und Dolmetschern, wird Stille zur Bedrohung. Nicht die Opposition ist der Gegner. Sondern der Bedeutungsverlust.
Und genau hier wird es politisch – und persönlich. Denn wenn Macht nicht mehr nur ein Amt ist, sondern zur Identität wird, wird der Rücktritt zur existenziellen Krise.
Putin. Trump. Netanyahu. Namen, die längst mehr sind als Personen. Sie stehen für etwas, das uns alle betrifft: Wenn Macht zur Lebensform wird, wird der Abschied unmöglich. Ihre Rückkehr ist kein Zufall. Sie ist ein Spiegel. Wir klammern uns ans Vertraute – auch wenn wir längst spüren, dass es uns lähmt. Kontinuität fühlt sich sicherer an als Neuanfang. Selbst wenn sie alles blockiert.
Dabei ist Alter nicht das Problem. Erfahrung ist wertvoll – solange sie nicht glaubt, unersetzlich zu sein. Aber irgendwann kippt etwas. Dann wird Wissen zur Zementmischung. Und das System härtet aus. Nicht, weil die Alten nichts mehr könnten. Sondern weil sie nicht loslassen wollen.
Macht bleibt – nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Gewohnheit.
Mandela wusste, wann Schluss ist. Er hätte weitermachen können. Geliebt, verehrt, legitimiert. Aber er hat verstanden: Demokratie braucht Vertrauen, kein Denkmal. Sein Rückzug war kein Verlust. Er war ein Zeichen. Grösse zeigt sich nicht im Bleiben. Sondern im Gehen.
Heute gilt Rücktritt als Schwäche. Rückzug als Niederlage. Wir feiern Durchhaltewillen, als wäre er ein moralischer Sieg. Aber was, wenn er nur Angst kaschiert? Die Angst, dass die Welt sich weiterdreht – auch ohne uns?
Natürlich braucht Politik Erfahrung. Aber sie braucht auch offene Türen. Räume, in denen andere Stimmen nicht nur gehört, sondern ernst genommen werden. Nicht jede jugendliche Idee ist klug. Aber jede eingefahrene Gewohnheit ist gefährlich.
Erneuerung ist kein Generationenkonflikt. Es ist eine Frage der Haltung. Wer etwas aufgebaut hat, sollte auch wissen, wann es Zeit ist, Platz zu machen.
Die, die gehen, hinterlassen Lücken. Aber die, die bleiben, verhindern, dass neue entstehen können.
Politik ist keine Bühne für Lebenswerke. Sie ist ein Ort für Übergaben.
Vielleicht ist das die eigentliche Verantwortung der Macht: Zu gehen, bevor man zum Inventar wird. Nicht mit Applaus, nicht mit Pathos – sondern mit dem Wissen, dass Bedeutung nicht davon abhängt, wie lange man bleibt. Sondern wie man geht.
