Ein Land, das Frieden verkauft – am liebsten in Einzelteilen.
Die Schweiz gilt als neutral. So steht es im Prospekt: Hochglanz, perforiert, mit moralischem Gütesiegel und sauberem Image zertifiziert. Doch hinter dem Alpenpanorama und der heiligen Kuh der Unparteilichkeit verbirgt sich ein Land, das keine Kriege führt – sondern sie beliefert. Mit der Präzision eines Uhrwerks, das nie fragt, wer es aufzieht, solange die Rechnung stimmt.
Während anderswo noch Friedensgespräche geführt werden, hat die Schweiz bereits das Versandetikett gedruckt, den Lieferschein abgestempelt und den Karton diskret in die diplomatische Schattenzone geschoben. Nicht an Kriegsparteien – das wäre ja illegal. Sondern an „Partner mit erhöhtem Sicherheitsbedarf“. Also an jene, die zufällig in der Nähe von Konflikten wohnen und gerne mal aufrüsten, bevor es der Nachbar tut. Was danach passiert, ist kein Schweizer Problem, sondern ein „bedauerlicher Einzelfall in der Endverwendungskette“ – ein Begriff, der klingt wie ein verlorener Koffer am Flughafen, nur mit mehr Sprengkraft. Man dokumentiert, man bedauert, man archiviert. Aber beanstanden? Das wäre ja fast schon eine Haltung. Und Haltung ist bekanntlich nicht exportfähig.
Frieden wird hier verwaltet wie ein Formular: ordentlich ausgefüllt, gestempelt, aber ohne Zuständigkeit. Während vorne diplomatische Floskeln verteilt werden, schnurrt im Hintergrund ein bürokratisches Präzisionsinstrument – emotionslos, effizient und bestens geschmiert mit Ausfuhrgenehmigungen. Andere Länder führen Kriege. Die Schweiz führt Lagerbestände. Und wer genau hinsieht, erkennt: Die eigentliche Neutralität liegt nicht im Gewissen, sondern in der Bilanz.
Die Schweiz ist kein Kriegstreiber – sie ist der diskrete Zulieferer im Hintergrund. Kein lautes Säbelrasseln, nur das stille Nicken der Bürokratie. Man liefert keine Waffen, sondern „Systemkomponenten“. Keine Munition, sondern „technologische Lösungen“. Und wenn ein Konflikt ausbricht, ist man betroffen – aber nie beteiligt. Die Schweiz ist nicht der Finger am Abzug. Sie ist der Schraubenschlüssel, der ihn möglich macht. Und wenn jemand fragt, ob das moralisch vertretbar ist, zeigt man auf Paragrafen – oder besser: auf deren Ausnahmen.
Auch bei Sanktionen gegen Russland zeigt sich die Schweiz kooperativ – selbstverständlich „freiwillig“. Nicht aus moralischer Entschlossenheit, sondern in der Hoffnung, dass diskretes Kopfnicken reicht, um internationalen Erwartungsdruck zu umschiffen. Man will dazugehören, ohne sich die Hände schmutzig zu machen – ein bisschen wie ein Zaungast, der nickt, solange niemand fragt, was er in der Tasche hat.
Offiziell hat die Schweiz Sanktionen in Milliardenhöhe umgesetzt. Wie viele genau? Die Zahl steigt – still, stetig, mit jedem neuen Einzelfall. Doch während man in Bern Listen abarbeitet, verlagern sich die Geschäfte nach Dubai – dorthin, wo Schweizer Rohstoffhändler ihre Tochterfirmen parken, um russisches Öl weiter zu handeln. Legal, solange aus der Schweiz keine Anweisungen kommen. Und wenn doch? Dann wird geprüft – irgendwann, vielleicht.
Die Schweiz hat sich bewusst geweigert, eine zentrale EU-Regel zu übernehmen: die Pflicht, dass Firmen sicherstellen müssen, dass auch ihre Tochtergesellschaften im Ausland keine Sanktionen unterlaufen. Ein Schlupfloch, durch das nicht nur Argumente, sondern ganze Tankerflotten passen – und niemand schaut so genau hin, solange der Kurs stimmt und der Compliance-Bericht pünktlich abgeheftet wird.
So entsteht ein System, das aussieht wie Rechtsstaat, klingt wie Neutralität und funktioniert wie ein Selbstbedienungsladen mit diplomatischer Tarnkappe. Man friert Vermögen ein, solange sie nicht zu sehr stören. Und Tochterfirmen dürfen weiterverdienen, solange sie nicht zu laut klirren. Sanktionen? Ja. Konsequenz? Optional. Verantwortung? Delegiert. Gewissen? Ausgelagert.
Doch wer glaubt, das sei schon das Ende der Neutralitätsakrobatik, kennt die Schweizer Exportkunst noch nicht. Denn während man sich im Rampenlicht moralisch empört zeigt, wird hinter den Kulissen längst geliefert – unauffällig und zuverlässig, mit der Gelassenheit eines Zollbeamten, der weiss: Hauptsache, das Formular stimmt.
Neutralität bedeutet hier nicht, sich aus Konflikten herauszuhalten – sondern beide Seiten zu bedienen. Die Schweiz ist wie ein Butler in einem Kriegsroman: stets korrekt, stets diskret, und immer zur Stelle, wenn jemand Nachschub braucht. Geliefert wird nicht direkt in die Konfliktzone, sondern „über Drittländer“. Ein logistisches Kunststück, das erlaubt, gleichzeitig moralisch entrüstet und wirtschaftlich involviert zu sein – ohne je selbst ins Bild zu geraten.
Und die Armee? Ein Sicherheitstheater mit Tarnanzug und Tagesbefehl. Man übt Verteidigung, als wäre es olympische Kürlaufkunst: technisch makellos, aber mit einem Gegner, der nur in Szenarien auftaucht, die auf Flipcharts skizziert und dann in Bundesordnern archiviert werden – gleich neben dem Notfallplan für den Fall, dass Liechtenstein angreift.
Die Bedrohungslage? Irgendwo zwischen Cyberangriff und intergalaktischem Zwischenfall über Appenzell.
Man spricht von „bewaffneter Neutralität“, als wäre das kein Widerspruch, sondern ein Premium-Abo für geopolitische Unverbindlichkeit. Die Schweiz hat Panzer – aber lieber verdient sie an deren Ersatzteilen. Denn wer schiesst schon, wenn man auch liefern kann? Die Armee ist bereit. Für alles. Außer für den Ernstfall. Der ist zu unhöflich.
Stattdessen übt man sich in der hohen Kunst der diskreten Beteiligung: Nicht kämpfen, sondern quittieren. Nicht marschieren, sondern liefern. Diese Haltung zieht sich durch alle Ebenen: Während man sich international als Hort des Friedens inszeniert, rollen Panzerteile, Munitionskisten und Feuerleitsysteme durch die Zollstellen – alles legal, alles geprüft, alles mit sauberem Papier. Die Schweiz ist kein Kriegstreiber. Sie ist der Concierge des globalen Konflikts: diskret, effizient und stets bemüht, dass der Lärm draussen bleibt.
Frieden ist hier kein Zustand, sondern ein Etikett auf der Eingangstür – sauber gedruckt, gut sichtbar, aber ohne Bezug zum Inhalt. Dahinter wird geliefert, bilanziert und gewinnoptimiert. Wer fragt, bekommt Broschüren. Wer hinsieht, erkennt: Die Schweiz lebt den Frieden nicht – sie lagert ihn. Trocken, stapelbar und jederzeit versandbereit.
Am Ende ist es einfach:
Die Schweiz führt keinen Krieg. Sie führt nur die Rechnung.
Neutralität ist kein moralischer Kompass, sondern ein Navigationssystem mit eingebautem Profitfilter.
Man fährt, wohin sich’s lohnt – und wenn es kracht, ist man betroffen, aber nie beteiligt.
Die Schweiz ist neutral. Aber ihre Produkte sind es nicht.
